
Russlands Spionage Die Suche nach den Drohnenschiffen
Westliche Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass Russland Spionage-Drohnen von Schiffen aus startet. Doch die Suche nach den Drohnenschiffen in Nord- und Ostsee gestaltet sich Recherchen von NDR und SZ zufolge schwierig.
Es ist ein ungewöhnliches Vorgehen deutscher Sicherheitsbehörden und es zeigt eine neue Entschlossenheit: Anfang Mai fiel der Bundespolizei das Frachtschiff "HAV Dolphin" auf. Eigentlich unternehmen Reedereien und Schiffseigner alles, damit ihre Schiffe in Bewegung sind. Denn jeder Liegetag kostet bares Geld. Doch die "Dolphin" hatte es offenbar nicht eilig.
Der Massengutfrachter, der gerade einen mehrwöchigen Werftaufenthalt im russischen Kaliningrad hinter sich gebracht hatte, lag insgesamt mehr als acht Tage lang in der Kieler Bucht vor Anker. Unweit des Liegeplatzes befindet sich ein zentraler Stützpunkt der deutschen Marine. Als kurze Zeit später Drohnen in der Nähe des Marinestützpunktes auftauchten, legten die deutschen Behörden los.
Zunächst kontrollierte die Bundespolizei das Schiff, kurze Zeit später gingen noch einmal Beamte der Wasserschutzpolizei Schleswig-Holstein an Bord. Nach Informationen von NDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) fanden die Beamten keine Drohnen auf dem Schiff, allerdings stellten sie fest, dass alle Mitglieder der siebenköpfigen Crew aus Russland stammen. Die deutschen Behörden verständigten ihre Kollegen in den Niederlanden. Am 15. Mai wurde die "Dolphin" bei ihrer Ankunft bei Rotterdam noch einmal von der Polizei durchsucht, wieder ohne Ergebnis. Die Maßnahmen beider Länder fördern nichts zutage, was das Schiff der Spionage oder Sabotage verdächtig macht.
Zahlreiche Drohnen-Sichtungen
Der Fall zeigt ein neues Bewusstsein in deutschen und europäischen Sicherheitsbehörden. In fast allen europäischen Staaten tauchen derzeit vermehrt verdächtige Drohnen in der Nähe sensibler Industrie- und Militäranlagen auf. Viele Drohnensichtungen finden dabei in Küstennähe statt. Auf Nachfrage bestätigte das schleswig-holsteinische Innenministerium in Kiel, dass in diesem Jahr bereits 34 Drohnen in Küstennähe registriert worden seien. Der Sichtungsbereich sei dabei weit gestreut und umfasse "Neustadt, Brunsbüttel, Glücksstadt, Flensburger Förde, Elbehafen, Eckernförder Bucht, Kieler Förde." Kiel bilde einen Schwerpunkt.
Nach Informationen von NDR und SZ dürfte die Zahl der Sichtungen für die gesamte deutsche Küste in diesem Jahr bei etwa 100 liegen. Mittlerweile herrscht unter europäischen Sicherheitsbehörden Konsens darüber, dass zumindest ein Teil dieser Drohnen von zivilen Schiffen gestartet wird, die man zur russischen Schattenflotte rechnet. Im Fokus stehen derzeit Tanker, aber auch Fischerei- und Transportschiffe. Ein Sprecher der Bundeswehr erklärte auf Nachfrage, dass "Systeme für Drohnenausbringungen auf Schiffen auf dem zivilen Markt verfügbar" seien. Konkrete Erkenntnisse habe man derzeit aber nicht.
Polizeischiff beschattet
Mitte Mai hatte ein weiterer Drohnen-Vorfall in Sicherheitskreisen für Aufsehen gesorgt. Rund 140 Kilometer vor Borkum soll ein Schiff der Bundespolizei gerade einen russischen Tanker überwacht haben, als der Besatzung des Polizeischiffs BP 81 Potsdam plötzlich mehrere Drohnen am Himmel auffielen. Knapp drei Stunden lang sollen rund sieben Drohnen das Schiff der Bundespolizei beschattet haben.
Gegenmaßnahmen konnte die Besatzung des Schiffes nicht ergreifen. Zuerst hatte der Spiegel über den Vorfall berichtet. Unklar blieb, ob die Drohnen von dem russischen Tanker aus gestartet worden waren und welchen Zweck ihr Einsatz hatte.
Experte: Schnell reagieren
Den Experten für Maritime Sicherheit, Moritz Brake, wundern die vermehrten Drohnensichtungen nicht. Ein Schiff sei eine moderne Industrieanlage, man könne dort an allen möglichen Stellen Drohnen und Startvorrichtungen verstecken. "Es reicht aus, so etwas in einen Container zur packen. Da können sie dann lange suchen."
Zumal es auch ausreichen könne, sehr kleine Drohnen einzusetzen, je nach Zweck. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, dass die Behörden rasch reagieren. "Sobald sie einen klaren Verdacht haben, müssen Beamte dann auch auf das Schiff", ansonsten könne die Beweisführung schwierig werden.
Energischeres Vorgehen
Tatsächlich ist bei den zuständigen Behörden der Nord- und Ostseeanrainerstaaten derzeit ein deutlich energischeres Vorgehen gegen verdächtige Schiffe zu beobachten. So wurden in den vergangenen Monaten mehrfach Schiffe, die man der Spionage oder der Sabotage verdächtigte, von Behörden in Deutschland, Finnland, den Niederlanden und Dänemark kontrolliert. In manchen Fällen ging es dabei um den Verdacht der Sabotage, in anderen Fällen konkret um Drohnensichtungen.
Von Seiten der Eigner der Dolphin hieß es auf Nachfrage, die Verdächtigungen seien unzutreffend. Das Schiff habe vor Kiel gelegen, weil es dort auf Aufträge gewartet habe. Der Ankerplatz sei von der deutschen Verkehrsleitzentrale vorgegeben worden. Vorrichtungen für den Betrieb von Drohnen gebe es an dem Schiff keine. In Kaliningrad sei es lediglich instandgesetzt worden. Die Firma habe keine russischen Kunden und keine Umsätze in Russland. Auf russische Crews greife man aufgrund von deren Erfahrung und hohen Qualitätsstandards zurück.
Die Suche nach den Drohnenschiffen geht unterdessen weiter. Trotz mehr und intensiverer Kontrollen bislang ohne ein Schiff aufzuspüren, von dem aus Drohnen gestartet sein könnten. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, wie vielfältig der Einsatz von Drohnen sein kann, und wie schwer es ist, sich gegen sie zu schützen - auch an den deutschen Küsten.
Dieser Text entstand in Kooperation mit internationalen Partnern wie Follow the Money, Pointer (Niederlande), VRT, De Tijd (Belgien) und SVT (Schweden). Für die Recherche wurden Daten der Firma Marine Traffic genutzt.